Ausgabe zur SMM 2018
20 Ausg.Nr. 13/2018 Hinterlassenschaften Robotisches Bergungs- und Entsorgungssystem RoBEMM Gefährliche Altlasten in Nord- und Ostsee M illionen Tonnen alter Munition und Giftgas- granaten liegen auf dem Grund von Nord- und Ost- see – gefährliche Hinterlassen- schaften der beiden Weltkriege. Denn die alten Kampfmittel rosten und geben ihre giftigen Inhaltstoffe frei. Die Beseiti- gung ist gefährlich, aufwendig und teuer. Deshalb entwickeln Fraunhofer-Forscher gemeinsam mit Bergungsunternehmen ein Robotersystem, das eine teilau- tomatische Entsorgung ermög- licht. Etwa 1,6 Millionen Tonnen kon- ventionelle und 220 000 Tonnen chemische Kampfmittel, so die aktuellen Schätzungen, lagern am Grund von Nord- und Ostsee und rotten seit Jahrzehnten vor sich hin – ein enormes Gefahren- potenzial für Flora und Fauna wie auch für das Bergungspersonal. Immer häufiger werden diese explosiven Hinterlassenschaften der Kriege zum Problem. Denn die Baustellen auf dem Meer neh- men zu, neue Fahrrinnen müssen freigelegt, Pipelines gebaut, See- kabel für die Landanbindung von Windparks verlegt werden. Das Waffenarsenal, das die Kampfmit- telräumdienste aufspüren, reicht von Pistolenpatronen und Panzer- fäusten über Seeminen, Spreng- bomben, Brandbomben und Tor- pedos bis hin zu Giftgasgranaten. Der Großteil der explosiven Fracht wurde am Ende des zweiten Welt- kriegs im Meer versenkt. Fischer sollten im Auftrag der Alliierten die Kampfmittel in ausgewiese- nen Gebieten weit draußen auf See verklappen. Doch offensicht- lich kippten einige die Fracht viel früher ins Meer, um Treibstoff zu sparen. Daher befindet sich auch außerhalb der markierten Muniti- onsgebiete viel Munition. Zudem werden alte Minen, Torpedos und Bomben durch starke Strömun- gen und Grundschleppfischerei umgelagert. Minen in Schifffahrtsrinnen So müssen die Taucher des Kampfmittelräumdienstes immer wieder auch Munition aus Fahr- rinnen räumen, die als minenfrei galten. Dank empfindlicher So- nartechnik und Magnetsonden kann der Kriegsschrott inzwi- schen besser aufgespürt wer- den – und umso mehr Bomben, Granaten und Minen werden ent- deckt. Die Räumung ist aber bis- her nur in gefährlicher Handarbeit durch Taucher der Kampfmittel- räumdienste oder spezialisierter Firmen möglich. Große Bomben können nicht geborgen werden: Oft reicht die Druckveränderung schon aus, dass sie explodieren. Deshalb verlagert man sie in die bekannten Munitionsgebiete oder sprengt sie vor Ort. Dabei verteilt sich aber ein Teil des gif- tigen Sprengstoffs weiträumig im Wasser. Außerdem können durch eine Explosion Meereslebewesen wie z. B. Schweinswale oder Fi- sche tödlich verletzt werden. Für die Beseitigung großer Men- gen des explosiven Kriegserbes sind neue umweltschonende, ungefährliche und wirtschaftliche Lösungen gefragt. So entwickeln, gefördert vom Bundesministeri- um für Wirtschaft und Energie, Forscher des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie ICT in Pfinztal gemeinsam mit der Uni- versität Leipzig und mehreren In- dustriepartnern ein »Robotisches Unterwasser-Bergungs- und Entsorgungsverfahren inklusive Technik zur Delaboration von Mu- nition im Meer«, kurz RoBEMM. Die Koordination des Vorhabens hat das Kampfmittelräumunter- nehmen Heinrich Hirdes EOD Services GmbH übernommen. »Langfristiges Ziel des Projektes ist es«, erklärt Paul Müller vom Fraunhofer ICT, »die Munition be- reits direkt am Fundort unter Was- ser teilautomatisiert unschädlich zu machen und umweltgerecht zu entsorgen.« Für die Automatisie- rung und Anbindung der Teilkom- ponenten ist die automatic Klein GmbH zuständig. Das Fraunhofer ICT bringt seine Kernkompetenz in der sicher- heitstechnischen Betrachtung und Charakterisierung von Ge- fahrstoffen ein. Aufgabe war, die Handhabung mit den Explosiv- stoffen in allen Prozessschritten so auszulegen, dass das unver- meidliche Restrisiko einer spon- tanen Explosion minimiert wird. Das reicht vom Munitionshand- ling über die Zerlegung bis hin zur Sprengstoffvernichtung und Reststoffbehandlung. Wichtiges Element ist das Herabsetzen der Empfindlichkeit des Sprengstoffs durch die Zugabe von Wasser und die anschließende Zerkleinerung. Dann werden die Metallhülsen gereinigt und der Sprengstoff wird verbrannt, so dass nur Me- tallschrott an Land gebracht wird. Jede Bombe ist anders Selbst nach mehr als 70 Jahren sind die Kampfstoffe gefährlich. Der Sprengstoff kann nach wie vor explodieren, die Abbaustoffe sind hochgiftig. Die Forscherinnen und Forscher am Fraunhofer ICT ha- ben beispielsweise festgestellt, dass die Schlagempfindlichkeit der Explosivstoffe sogar erhöht sein kann. Um eine spontane Detonation zu vermeiden, muss beim Handling größte Vorsicht gewährleistet sein. Ein großes Problem sind die extrem unter- schiedlichen Munitionsformate. Am Ende des Krieges wurden für die Herstellung von Munition alle noch verfügbaren Materiali- en verwendet. Daher weiß man nie wirklich, welche Inhaltsstoffe vorhanden sind und wie sie unter Umständen plötzlich miteinander reagieren. »Aus den sicherheits- technischen Untersuchungen der damals tatsächlich verwendeten Explosivstoffgemische konnten wir ableiten, was beim Handling zu beachten ist«, sagt der Sicher- heitsexperte Paul Müller. Bald be- ginnen erste Tests mit dem neuen Bergungs- und Entsorgungssys- tem RoBEMM, das die derzeit gefährlichen Tauchereinsätze und die oftmals alternativlosen Sprengungen der Munition erset- zen kann. Text & Bild: Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. Hansastraße 27 c D-80686 München Geöffnete Ankertaumine. © Lehrmittelsammlung des Kampfmittelräumdienstes Schleswig-Holstein Taucher mit Ankertaumine. © Landeskriminalamt Schleswig- Holstein - Kampfmittelräum- dienst, 2012 Sprengstoffproben aus der An- kertaumine. © Fraunhofer ICT.
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