Ausg. Nr._03/2023 13 Künstliche Intelligenz Durch vorhandene Stammdaten und selbstlernende Bildverarbeitung erkennt der Sorting Guide entnommene Teile und gibt über den Bildschirm eine Empfehlung zum Absortieren. Die produzierten Teile sind auf dem Bildschirm farbig markiert, beispielsweise nach Kundenauftrag oder folgenden Arbeitsschritten wie zum Beispiel Abkanten, Entgraten, Lackieren oder Versand. Aufwändiges Nachzählen der Teile und manuelle Rückmeldungen oder Begleitpapiere sollen so überflüssig werden. Das Bedienpersonal der Maschine sieht auf einen Blick, welche Teile bereit sind für die Weiterverarbeitung und wo gegebenenfalls die Nachproduktion eingeleitet werden muss. Das Absortieren wird beschleunigt, Fehler werden vermieden, und die Maschine kann schneller weiter produzieren. KI und Fertigung gehen Hand in Hand, da Menschen und Maschinen im industriellen Produktionsumfeld eng zusammenarbeiten müssen. Zerspanung wird mit Datenanalyse optimiert Auf Künstliche Intelligenz setzt auch ein neues Verfahren, das den Werkzeugverschleiß in Zerspanungsprozessen, also etwa beim Bohren oder Fräsen, analysiert. Einerseits sollen die teuren Werkzeuge möglichst lange eingesetzt werden. Andererseits ist es wichtig, die Restlebensdauer genau abzuschätzen. Denn ein Werkzeugbruch und ein zerstörtes teures Werkstück oder sogar ein Schaden an der Werkzeugmaschine müssen vermieden werden. Bislang löst man diesen Zielkonflikt so: Die Werkzeuge werden vorzeitig nach einer erfahrungsbasierten Zahl von Arbeitsgängen ersetzt, um Qualitätsverluste oder gar teure Stillstandzeiten durch Werkzeugbrüche zu vermeiden. Allerdings kostet der Werkzeugaustausch Zeit und Geld, weshalb es sich lohnt, die Wechselzyklen zu optimieren. Hier kommt die KI ins Spiel. Um den Verschleißzustand zuverlässig vorhersagen und so Zerspanprozesse optimieren zu können, haben Forscher der Technischen Universität Kaiserslautern ein Verfahren entwickelt, das das System anhand von realen Prozess- und Messdaten trainiert. Konkret läuft das so: Um den Verschleißzustand von Zerspanwerkzeugen vorhersagen zu können, werden zunächst prozessbezogene Kenngrößen herangezogen. Dazu zählen unter anderem die beim Zerspanen wirkenden Kräfte, Schwingungen der Maschine sowie der Leistungsbedarf der Maschinenachsen. Ebenso werden Daten aus kontinuierlichen Messungen am Werkzeug und am Werkstück gesammelt. Die größte Herausforderung besteht dann darin, Korrelationen in den gesammelten Daten zu ermitteln. Suche nach Mustern Hierfür trainieren die Forscher das KI-gestützte System, das Methoden des Maschinellen Lernens nutzt, um mögliche Muster zu erkennen und daraus Schlüsse zum Verschleißzustand abzuleiten. Darüber hinaus soll es vorhersagen können, mit welchen Prozessparametern Unternehmen bei bestimmten Zerspanprozessen arbeiten müssen, um das Werkzeug für eine angestrebte Nutzungsdauer zuverlässig im Einsatz zu halten. Die Daten, die das System zum Lernen braucht, werden bei fünf Partnerunternehmen erhoben – darunter sind Global Player ebenso wie kleine und mittlere Unternehmen. Dabei werden verschiedene Varianten durchgespielt, was etwa Werkzeug- und Werkstofftypen oder Prozessparameter betrifft, und so eine breite Datenbasis über die gesamte Lebensdauer bis hin zum Versagen des Werkzeugs erfasst. Künstliche Intelligenz ist schon ziemlich schlau, aber noch lange nicht perfekt. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Prozesse von Anwendungsfall zu Anwendungsfall. Maschinelles Lernen dient daher als Entscheidungsunterstützung für den Werkzeugwechsel. Immer besser werden soll das System durch das so genannte Transfer Learning: Hierbei wird Wissen von verwandten, bereits gelernten Aufgaben genutzt, um MachineLearning-Modelle schneller für neue, aber verwandte Aufgaben trainieren zu können. IIP-Ecosphere für niedrigschwelligen Zugang Gleichwohl sind die Vorteile von Künstlicher Intelligenz in der industriellen Fertigung gerade für kleine Unternehmen nicht immer offensichtlich. Viele haben Bedenken, ihre Produktionsdaten zur eingehenden Analyse durch Computer freizugeben. Für produzierende Unternehmen, denen der Mehrwert von KI noch unklar ist, soll das Projekt IIPEcosphere, an dem das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik (Fraunhofer ISST) mitarbeitet, einen niedrigschwelligen Zugang zu herstellerunabhängigen KI-Lösungen für komplexe Problemstellungen in der Produktion bieten. Ziel des Projekts ist es, ein neuartiges Ökosystem aufzubauen, und zwar mit allen Akteuren, die den Einsatz von KI in der Produktion voranbringen, darunter Universitäten und Forschungseinrichtungen, Industrieunternehmen und Anbieter von KI-Lösungen. Künstliche Intelligenz lebt von der Vernetzung von Wissen. Entstehen soll so die „Ecosphere for Intelligent Industrial Production“, kurz IIP-Ecosphere. Eine Plattform zum Entdecken Markus Spiekermann, Abteilungsleiter Datenwirtschaft beim Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, erklärt: „Beispielsweise wird im Projekt IIP-Ecosphere der so genannte KI-Lösungskatalog entwickelt. Es handelt sich um eine Plattform zur Entdeckung und Analyse existierender KI-Lösungen für produktionsspezifische Problemstellungen.“ Neben dem einfachen Zugang zu den Informationen bestehender Lösungen biete der Katalog gezielte Filter anhand von Anwendungsfällen und zeige den Mehrwert der Lösungen auf. „Einzelne KI-Anwendungen können dann mithilfe der ebenfalls im Projekt entwickelten Open-Source IIoT-Plattform direkt implementiert werden“, sagt Spiekermann. Nicht nur Wissen, sondern auch Daten sind Macht, um im knallharten internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Hat Deutschland mit Blick auf Wettbewerber in den USA und Japan einen Entwicklungsvorsprung beim Einsatz Künstlicher Intelligenz in der industriellen Produktionstechnik? Das Urteil darüber fällt differenziert aus. „Aus meiner Sicht ist aktuell kein Entwicklungsvorsprung vorhanden, auf dem wir uns ausruhen dürfen“, sagt Fraunhofer-Experte Spiekermann. „Gerade was das Thema KI angeht, auch in der industriellen Produktionstechnik, hinken wir eher den internationalen Anbietern hinterher“, so Spiekermann. Andererseits konstatiert der Fraunhofer-Experte: „Wir haben jedoch sehr wohl noch einen Wissensvorsprung, was die Optimierung der domänenspezifischen Prozesse angeht: Welche Daten sind vorhanden und werden für bestimmte Anwendungsfälle benötigt? Welche Fallstricke und Ausnahmeregelungen müssen berücksichtigt werden? Wenn wir unsere fachliche und technologische KI-Kompetenz schnell verbessern, können wir uns in Deutschland mit diesem Domänen-Know-how einen großen Entwicklungsvorsprung herausarbeiten.“ Text: Deutsche Messe Messegelände 30521 Hannover Bild: Unsplashed / Gerard Siderius
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