Wenn Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen will, muss das verarbeitende Gewerbe mitziehen. Fachmessen wie die METAV 2022 in Düsseldorf (21. bis 24. Juni) sind Schaufenster für Innovationen, die Einblicke in die moderne Fertigungstechnik gewähren. Sie dokumentieren, dass die Technik für eine klimaschonende Produktion verfügbar ist. Wer jetzt investieren und sich auf den Weg zu einer klimaneutralen Fertigung machen will, kann nicht nur von den Vorzügen neuer Maschinenkonzepte profitieren. Er hat zudem Aussicht, durch sofort greifende Energieeinsparungen und mit Hilfe von Fördermitteln die Amortisierung von Investitionen in neue Maschinen und Anlagen auf ein Minimum zu reduzieren.
Rund ein Drittel des Energieverbrauchs in Deutschland wird der Herstellung von Produkten zugerechnet. Die Internationale Energieagentur (IEA) sieht in der Energieeffizienz den mit Abstand stärksten Hebel zur CO2-Vermeidung. Wer das Verhältnis von Produktivität und Energieverbrauch verbessern will, muss allerdings auch wissen, wie und an welcher Stelle wie viel Energie benötigt und verbraucht wird. Beispiel Maschine: Untersuchungen der RWTH Aachen belegen, dass in einer Werkzeugmaschine die Nebenaggregate für Kühlschmierstoffversorgung (KSS), Kühlung und Hydraulik die größten Energieverbraucher sind. Zusammen mit der Hauptspindel zeichnen sie für mehr als zwei Drittel des Energieverbrauchs einer Werkzeugmaschine verantwortlich, stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fest. Produzierende Unternehmen erzielen Verbesserungen nicht nur durch Umbauten an Bestandsanlagen, sondern auch durch neue Anlagen mit energieeffizienten Einzelkomponenten.
Sparsamkeit als Wettbewerbsvorteil
Die Datron AG im hessischen Mühltal ist einer der METAV-Aussteller, die bei der Entwicklung neuer Maschinen neben Präzision und Leistung frühzeitig einen Fokus auf den Energieverbrauch richteten. „Energieeffizienz wird künftig eines der wichtigsten Verkaufsargumente sein“, ist Sven Kreusel, Bereichsleiter Vertrieb weltweit, überzeugt. Inzwischen kommen etwa Datron Hochfrequenz-(HF) Spindeln bei einer Präzision im Mikrometerbereich und Drehzahlen bis 60.000 1/min mit einer Leistung von maximal 8 kW aus, was etwa einem Drittel des Energiebedarfs von Spindeln konventioneller Bauart entspricht. Darüber hinaus machten sich die Ingenieurinnen und Ingenieure des Unternehmens daran, die Energiefresser in der Peripherie der Werkzeugmaschinen zu eliminieren. Dazu gehörten laut Kreusel vor allem der Verzicht auf Hydraulik, die durch Vakuumtechnik ersetzt wird, und der Einsatz einer effizienten Minimalmengenkühlschmierung, die im Gegensatz zu herkömmlichen Kühlschmierstoff-Anlagen weniger kostenintensiv und platzraubend ist.
Noch sei es notwendig, das Interesse von Anwenderinnen und Anwendern gezielt auf das Thema Energieeffizienz zu lenken, so Kreusel, weil die Potenziale oft unterschätzt oder nicht gesehen würden. Zwar gebe es eine junge Unternehmergeneration, die den Klimaschutzgedanken schon sehr verinnerlicht habe und Fragen dazu voranstellt. In der Regel aber käme das Thema bei Interessierten sowie Kundinnen und Kunden meist zuletzt zur Sprache, wenn es um Anschaffungskosten und ROI (Return on Invest) geht. „Wenn wir dann aufzeigen können, dass man je nach Anwendung zwischen 15.000 und 22.000 Euro an Energiekosten pro Jahr sparen kann, ist der Überraschungseffekt oft groß“, so der Vertriebschef.
Umfassende Förderung zu wenig genutzt
„Alle von uns vorgeschlagenen Energieeffizienzmaßnahmen sind wirtschaftlich“, betont auch Dr. Philipp Schraml, Geschäftsführer des in Bensheim bei Darmstadt ansässigen Beratungsunternehmens ETA-Solutions. Das liege nicht nur an den möglichen Kosteneinsparungen, sondern auch an den angebotenen Fördermaßnahmen, in denen sich die politische Relevanz des Themas gegenwärtig widerspiegelt. Ob nun die Bundesförderung für Energieaudits oder das Programm für Energie- und Ressourceneffizienz in der Wirtschaft, regionale oder europäische Fördertöpfe genutzt werden können – im Prinzip sei für jede Maßnahme und jedes Budget etwas dabei, sagt Schraml. Selbst die Beratung ist förderfähig: „Wir arbeiten praktisch kostenneutral“, so der Experte, „denn wir schaffen es immer, selbst mit kleineren und nicht-investiven Maßnahmen sowohl die eigenen Kosten als auch zusätzlich Geld einzusparen.“
Umso erstaunlicher mag es da erscheinen, dass nach Erkenntnissen des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart bislang nur jedes vierte antragberechtigte Unternehmen die in Frage kommenden Fördermittel in Anspruch nimmt. Die Ursachen vermuten Wirtschaftsexpertinnen und -experten sowohl in der mangelnden Transparenz der Förderangebote als auch in der Erwartung eines komplizierten Antragsszenarios.
Schraml sieht ein anderes Problem: „Wir stellen fest, dass es in vielen, vor allem kleineren Unternehmen schlicht an der spezifischen Kompetenz und am fachlichen Personal fehlt, um sinnvolle Energieeffizienzmaßnahmen zu erkennen und anzugehen.“ Nur selten werden vor- und nachgelagerte Prozesse analysiert, es gäbe keine Vernetzung unterschiedlicher Gewerke, es werde zu wenig in Richtung Energieeffizienz beraten. Erschwerend komme hinzu, dass auch die Erfassung von Energiedaten zunächst einmal Kosten verursacht. Für ETA-Solutions sei es daher immer der erste Schritt, Transparenz und ein Verständnis für den Systemzusammenhang herzustellen. Erst dann werden – gemeinsam mit dem Unternehmen – Vorschläge für Maßnahmen erarbeitet. In einem dritten Schritt geht es darum, Energie, die in die Produktion geht, mehrfach zu nutzen, sei es für Heizung und Wärme oder für eine effiziente Gebäude- und Anlagenkühlung. Am wirtschaftlichsten ließen sich Energieeffizienzmaßnahmen bei Neubeschaffungen, Retrofits oder anderen Projekten realisieren, wenn diese von Anfang an mitgedacht würden. Für Förderanträge sei eine valide Abschätzung der zu erzielenden Energieeinsparung Voraussetzung.
Maßnahmensteckbriefe aus der Forschung
Transparenz herzustellen und Denkanstöße zu geben, ist auch das Ziel praxisnaher Forschungsprojekte. ETA-Solutions ist eine Ausgründung des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt. Hier entstand 2016 die interdisziplinäre Forschungsgruppe ETA (Energietechnologien und Anwendungen in der Produktion) mit dem Forschungslabor ETA-Fabrik. Das Bundeswirtschaftsministerium finanzierte das Projekt ETA-Transfer. In Zusammenarbeit mit namhaften Unternehmen wie Trumpf und Bosch-Rexroth wurden im Rahmen dieses Projekts konkrete Energieeffizienzmaßnahmen in ihren Auswirkungen analysiert und dokumentiert. In so genannten Maßnahmensteckbriefen zu Themen wie der Schaltschrank-, Maschinen- und Anlagenkühlung oder der Wärmerückgewinnung wurden Einsparungen von 25 bis 85 Prozent nachgewiesen. Die Steckbriefe sind unter https://eta-transfer.de online zugänglich und beschreiben jeweils die einzelnen Maßnahmen, beziffern die nachgewiesene Einsparung und Amortisationszeit und geben zusätzlich an, welche Fördermöglichkeiten dafür in Anspruch genommen werden können.
Ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Facharbeitende – bei ETA-Transfer zeigten sich viele Beteiligte am Ende überrascht, wie sich selbst mit kleinen und nicht-investiven Veränderungen erstaunliche Effekte erzielen lassen. Es reichte mitunter aus, selbst ein kleines Gerät auszutauschen oder die Maschine in Bearbeitungspausen konsequent abzuschalten, um signifikante Energieeinsparungen zu erzielen. Zu einer Steigerung der Energieeffizienz gehören eben nicht nur entsprechende Maschinen und Komponenten, sondern auch ein organisatorisch energiebewusster Maschineneinsatz. Es lohnt sich, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür zu sensibilisieren, dass die Maschine bei Schichtende oder über das Wochenende abzuschalten ist, vorausgesetzt, dass sich dies mit dem Hochlaufverhalten der Maschine vereinbaren lässt. In Zukunft sollten Maschinen dies allerdings selbst organisieren können. Dann schaltet sich die Maschine samt Nebenaggregaten über die Anlagensteuerung automatisiert in den Energiesparmodus, in Bearbeitungspausen ebenso wie zum Beispiel bei einem von der Beladeeinheit gemeldeten Teilemangel.
Eine Frage der Unternehmenskultur
Zu ETA-Solutions kommen viele Unternehmen, die der Energieauditpflicht unterliegen, sagt Schraml. Darüber hinaus gäbe es aber auch kleine und mittelständische Unternehmen, die aus eigener Überzeugung „etwas machen wollen“ oder sogar den Weg zu einer CO2-neutralen Fabrik anstreben. „Das sind uns die Liebsten“, gesteht der Experte. Der Weg zu mehr Energieeffizienz und einer CO2-neutralen Produktion sei aber keineswegs abhängig von der Unternehmensgröße, sondern eher von der Unternehmensstruktur und -kultur. Es zeige sich demnach schnell, ob das Thema konzeptionell eingebettet ist in eine solide Nachhaltigkeitsstrategie, die auch die Beschäftigten mitnimmt. Dann genießt der Weg zur CO2-Reduzierung oder gar zur klimaneutralen Fabrik in der Regel hohe Priorität in der Unternehmensleitung und werde als Beitrag zum Klimaschutz konsequent umgesetzt.
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Autorin: Cornelia Gewiehs, freie Journalistin, Rotenburg (Wümme)
Bild & Text: metav.de